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Schweiz

Kriminalisierung, Gefängnis, Lohnverzug: Die Crew der San Padre Pio und der Schutz der Schweizer Flagge

23 Februar 2021

Am 23. Januar 2018 setzte die nigerianische Küstenwache den unter Schweizer Flagge fahrenden Tankers San Padre Pio und seine Crew fest unter dem Vorwurf des illegalen Erdölhandel. Die Festsetzung mit bewaffneten Soldaten, offiziellen Behördenvertretern wurde regelrecht vor den laufenden Kameras mitgebrachter Journalisten inszeniert. Die Medienberichte lauteten entsprechend: Nigeria geht rigoros gehen ausländische Kriminelle vor.

Am 23. Januar 2018 setzte die nigerianische Küstenwache den unter Schweizer Flagge fahrenden Tankers San Padre Pio und seine Crew fest unter dem Vorwurf des illegalen Erdölhandel. Die Festsetzung mit bewaffneten Soldaten, offiziellen Behördenvertretern wurde regelrecht vor den laufenden Kameras mitgebrachter Journalisten inszeniert. Die Medienberichte lauteten entsprechend: Nigeria geht rigoros gehen ausländische Kriminelle vor.

Der Hintergrund ist der Kampf Nigerias gegen den illegalen Erdöl- und Dieselschmuggel aus dem Land heraus mithilfe von Tankern, die auch weit draussen auf See von Schiff zu Schiff die Ware umladen, um Kontrollen zuumgehen. Die San Padre Pio hatte sich offenbar verdächtigt gemacht, weil sie von Togo kommend einen grossen Bogen im Golf von Guinea fuhr, was nicht unüblich ist aufgrund der starken Pirateriegefahr.

Die 16 Crewmitglieder wurden umgehend verhaftet und in ein Gefängnis in Port Harcourt gebracht. Die Schweizer Reederei ABC Maritime setzte sich als Arbeitgeber umgehend für die Freilassung ein, schickte Anwälte und schaltete die Schweizer Behörden inklusive der Botschaft in Nigeria ein. Die Reederei kümmerte sich auch in Odessa – die meisten Crewmitglieder kamen aus der Ukraine – um die Information der Familienangehörigen. Nach 10 Tagen wurde die Klage gegen 12 Seeleute fallengelassen und sie kamen aus dem Gefängnis frei, mussten allerdings auf dem Schiff ausharren. Drei Offiziere und der Kapitän blieben noch Wochen im Gefängnis bis auch sie nach Zahlung einer Kaution durch ABC und Einhaltung ihrer Pässe auf das bewachte Schiff gebracht werden.

Erst im Juli konnten die meisten Seeleute endlich nach Hause reisen, doch die vier Angeklagten mussten weiter auf dem Schiff ausharren. Nun begann eine zermürbende Zeit mit intensiven diplomatischen Verhandlungen, die letztlich mit einem “Erfolg” der Schweiz vor dem internationalen Seegerichtshof in Hamburg endete.  Und auch ein Gericht in Nigeria sprach die vier Angeklagten im November 2019 frei. Die Seeleute waren also fast zwei Jahre gefangen auf ihrem Schiff.

Das Leid der Seeleute und ihrer Angehörigen ist kaum zu beschreiben, doch im Nachhinein muss klar gesagt werden, dass die Reederei und vor allem die Schweiz als Flaggenstaat sehr intensiv über diverse Kanäle von Anbeginn geholfen haben, die Situation zu lösen. Ohne den Schutz einer gut funktionierenden Diplomatie wäre es mit ziemlicher Sicherheit noch schlechter ausgegangen.

Zu Recht schreibt hierzu die NZZ, die soeben eine grosse Recherche zu diesem Fall vorgelegt hat: Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Land wegen eines festgehaltenen Tankers den Internationalen Seegerichtshof anruft. «Viele Flaggenstaaten würden keinen Finger rühren», sagt Valentin Schatz vom Institut für Seerecht und Seehandelsrecht der Universität Hamburg. Für gewisse Länder sei die Beflaggung von Schiffen ein reines Geschäftsmodell, «für Geld rücken sie die Flagge heraus, ohne viel dafür tun zu müssen».

Die sogenannten Billigflaggen von Panama, Liberia oder den Cayman Islands etwa bieten für die Schiffsbesitzer wirtschaftliche Vorteile: Registrierung und Steuern sind tief, Sozialverpflichtungen und Sicherheitsanforderungen gering, internationale Verträge können umgangen werden. Das Nachsehen haben oft die Crews.

Wir als Nautilus International hingegen konnten von Anfang darauf vertrauen, dass die Schweiz ihre Verpflichtungen als Flaggenstaat mit Nachdruck ausführt und an Lösungen arbeitet. Auch die Reederei ABC kam Ihrer Fürsorgepflicht nach und wir konnten die Lohn- und Sozialversicherungspflichten kontrollieren.

Mit der Freilassung der ursprünglichen Crew endete die Farce jedoch noch nicht. Das Schiff blieb weiterhin vor Nigeria festgesetzt, denn Nigeria versuchte immer wieder mit diversen juristischen Einsprachen vorzugehen, auch weil die Schweiz und die Reederei auf Schadensersatz klagten- immerhin sind durch das Festsetzen des Schiffes millionenschwere Verluste entstanden und das Schiff muss durch die lange Festsetzung im feuchten Klima nun teuer renoviert werden. Der Rechtstreit um Geld zwischen der Schweiz, ABC und Nigeria und das Schiff dauert bis heute an.

Nautilus und Schweizer Behörden sichern Löhne

Im Laufe des Jahres 2020 litt auch die neue Crew, die ABC zur Sicherstellung des Schiffserhalts gewinnen konnte, unter der Situation, denn ohne Einnahmen kamen die Eigentümer in Zahlungsschwierigkeiten.

Zum Teil mussten die Seeleute – diesmal auch viele von den Philippinen – auf vier Monatslöhne warten, bis zusammen mit den Schweizer Behörden eine Lösung zur Finanzierung der Löhne gefunden wurde.

Auch dies wäre ohne Schweizer Flagge nicht möglich gewesen.

Zwar hätten wir in einem solchen Falle juristisch gegen die Besitzer und Betreiber des Schiffes klagen können, doch bei einer kurz vor der Insolvenz stehenden Reederei wären diese Klagen ins Leere gelaufen und von den Behörden eines Billigflaggenstaates wäre sicher kein Geld geflossen.

Auch konnte Nautilus aus einem Solidaritätsfond in der Schweiz für die Familien der Seeleute während der viermonatigen Wartezeit eine kleine Unterstützung organisieren.

Schweizer Flagge erhalten

Der Fall zeigt nachdrücklich wieder einmal, warum es für Seeleute besser ist, wenn Sie unter dem Schutz eines “echten” Flaggenstaates mit einer funktionierenden Seeschifffahrtsbehörde und einer starken Diplomatie arbeiten. Insofern setzt Nautilus sich dafür ein, dass die Schweizer Flagge erhalten bleibt.

Wie wir berichtet haben steht die Schweizer Flotte stark unter Druck, sowohl im Inland wie auch aufgrund der drohenden Herabstufung der Flotte im Rahmen des Paris MoU. Hier werden Rankings vergeben, die Investoren und Kunden dazu dienen, die Seriosität eines Schiffes bzw. einer Flotte einzuschätzen. Weil es in jüngster Vergangenheit zwei grosse Pleiten von Schweizer Seereedern gab, Schiffe öfters festgesetzt wurden und dadurch weniger Inspektionen erhielten, die im Ranking des Paris MoU wichtig sind, droht die Schweiz auf die schwarze Liste zu kommen. Um dies zu verhindern, erlaubte die Schweiz mit einer neuen Verordnung im vergangenen Jahr, den Reedern kurzfristig die Flagge zu wechseln, um eine solche Herabstufung zu umgehen.

Die Gefahr, dass Reeder jedoch auch dauerhaft ausflaggen werden und so die Schweizer Schifffahrt langsam ihrem Niedergang entgegensieht, ist aus Sicht der Schweizer Industrie jedoch schon länger gegeben. Dies habe vor allem mit der immer schwierigeren Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Flotte zu tun, etwa aufgrund der fehlenden Tonnagesteuer, die die Schweizer Reeder im internationalen Vergleich benachteilige, oder auch einem veralteten Schweizer Seeschifffahrtsrecht aus dem Jahre 1953. Die Schweizer Seereeder haben deshalb nun eine Kampagne gestartet, um für den Standort Schweiz innerhalb der Schweizer Politik und Öffentlichkeit zu werben.


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